Fundsachen des Arheilger Geschichtsvereins

Das Ende des zweiten Weltkrieges in Arheilgen vor 80 Jahren

Warum am Tag der Befreiung am 25. März 1945 im Ort nur ein Schuss fiel

(jhb) Seit Juni 1944 kämpften sich im zweiten Weltkrieg alliierte Truppen von der Normandie Kilometer um Kilometer in Richtung Deutschland vor – im Osten rückte die Rote Armee vor.  Doch bis zur deutschen Kapitulation im Mai 1945 sollte noch fast ein Jahr vergehen. Trotz völliger materieller und militärischer Unterlegenheit gegenüber den alliierten Streitkräften setzten Hitler und Getreue weiterhin rücksichtslos auf den totalen Krieg.  – Der Arheilger Geschichtsverein erinnert heute in der Rubrik Fundsachen an die Befreiung Arheilgens vom Faschismus am 25.März 1945. Daran beteiligt waren Pfarrer Grein und mutige Arheilger Frauen und Männer.

In der Nacht des 11. Septembers 1944 brannte Darmstadt nach einem fürchterlichen britischen Bombenangriff. Am 12. Dezember flog die amerikanische Luftwaffe einen Tagesangriff gegen die Firma Merck. Wie durch ein Wunder blieb Arheilgen fast unversehrt. Die Luftaufnahmen eines englischen Aufklärungsflugzeuges vom 18. März 1945 dokumentieren die zahlreichen Bombeneinschläge in den Feldern und Wiesen im Süden und Osten des Ortes.

Erinnerungen an die letzten Kriegstage in Arheilgen

In der Nacht vom 22. auf den 23. März 1945 setzten die ersten amerikanischen Truppen bei Nierstein/Oppenheim über den Rhein. Panzer und Infanterie bewegten sich zügig voran, eine Stoßrichtung ging in Richtung Groß-Gerau. Die deutschen Truppen wichen zurück.

Was ereignete sich in dieser Zeit in Arheilgen, das nur wenige Kilometer entfernt war?  Schlaglichter auf die letzten Kriegstage und den Einmarsch amerikanischer Soldaten in Arheilgen werfen einige Erinnerungen von Zeitgenossinnen und -genossen, die von der Arbeitsgruppe Familienforschung gesammelt worden und im Jahr 2000 im zweiten Band der Arheilger Geschichten erschienen sind:

Emmi Bauer, die die letzten Kriegstage mit ihrer Tochter im Elternhaus im Wixhäuser Weg am westlichen Ortsrand erlebt hatte, berichtete, wie am Arheilger Bahnhof ein Militärzug mit Truppen, die vom Rhein nach Frankfurt verlegt werden sollten, bombardiert wurde. Viele Soldaten wurden getötet. „Die Überlebenden rannten über die Bahngleise ins freie Feld. Doch die armen Männer wurden alle wieder eingesammelt.“ Ein fanatischer Offizier sollte sie angeschrien haben: „Jetzt wird marschiert, wir müssen uns in Frankfurt dem Feind stellen! “

Das alltägliche Leben wie das Holz sammeln, Garten- und Feldarbeit wurde immer wieder von Tieffliegerangriffen unterbrochen. Auf Befehl musste der Volkssturm in Arheilgen Panzersperren errichten. So riegelte eine Barrikade die Dieburger Straße ab, eine andere stand beim Löweneck auf der Frankfurter Straße, dahinter eine Panzerabwehrkanone und ein letztes kleines Aufgebot deutscher Soldaten. Es sollte wohl auch in Arheilgen für den versprochenen „Endsieg“ kämpfen.  

Das Lager des Reichsarbeitsdienstes brennt

In der Nacht vom 24. auf den 25.März war im „Nordwesten von Arheilgen der Himmel von Feuer gerötet“, erinnerte sich Heinrich Anthes in seinem Beitrag zu den Arheilger Geschichten. Der Reichsarbeitsdienst rückte ab und hatte vorher seine Baracken an der Gräfenhäuser Straße in Brand gesetzt, so sein Bericht. Die Wohnbaracken des Arbeitslagers der Abteilung 6/254 des Reichsarbeitsdienstes befanden sich in der Nähe vom heutigen Spielplatz am Elsee. Nach einem Bericht in der Hessischen Landes-Zeitung vom 2. August 1938 bestand das Lager seit Oktober 1937. Wie sich Emmi Bauer erinnerte, hatten Tiefflieger das Lager bereits in der Nacht vom 23. auf den 24.März 1945 getroffen. Dabei entstandene Brände sollen noch gelöscht worden sein, schrieb Elisabeth Sturmfels in einem Brief an ihren Sohn, der  wie so viele Jugendliche in den letzten Tagen sinnloserweise eingezogen worden war. Dieser Brief konnte nicht mehr verschickt werden. Amerikanische Truppen rückten an.

Die lokalen Nazi-Größen verschlossen das Rathaus und suchten das Weite. Ihre Aussichtsplattform, die direkt neben der Sirene auf dem Dach des ehemaligen Rathauses errichtet worden war, blieb verwaist. In vielen Arheilger Häusern wurden Fahnen, Bilder von Nazi-Größen und Nazi-Abzeichen verbrannt oder verschwanden in der Jauchegrube.

Die Amerikaner stehen an der Täubcheshöhle

„Der 25. März ist ein Sonntag mit frühlingshaften warmen Temperaturen. Am Mittag stoßen die Amerikaner aus der Richtung Weiterstadt kommend gegen Arheilgen vor,“ schrieb Herrmann Benz in der Geschichte „Der Einmarsch“. Über den Ort kreiste ein Aufklärungsflugzeug. Schnell machten in Arheilgen zwei Nachrichten die Runde: Die Amerikaner stehen an der „Täubcheshöhle“. Und: Am Bahnhof steht ein Waggon mit Lebensmitteln.  Während die einen sich mit Bollerwagen und anderen Behältnissen zum Abstellgleis der Main-Neckar-Bahn aufmachten, um den Waggon zu plündern und die schlechte Versorgungslage zu verbessern, gingen andere zum deutschen Kommandanten, um ihm klarzumachen, wie sinnlos ein Kampf um Arheilgen sei.

Nach der Pfarrchronik der Gemeinde Arheilgen hatte Pfarrer Karl Grein einige Frauen zusammengetrommelt, die sich am Löwen vor die Geschütze stellten, „um einen Einsatz zu unmöglich zu machen.“ Pfarrer Grein konnte den Offizier überreden, ein mögliches Blutbad zu vermeiden. „Man sprach gelegentlich davon, ich habe den Ort gerettet. Das ist natürlich übertrieben“, berichtete Pfarrer Grein

Die Panzersperren werden abgeräumt

Der damals 13jährige Herrmann Benz war dabei, als sein Onkel August und weitere Arheilger mit einem Pferdegespann die Baumstämme aus dem Boden zogen und die Panzersperre am Löwen-Eck abrissen. „Die deutschen Soldaten am Geschütz bekommen Zivilkleider zugesteckt,“ berichtete er. Und der Arheilger Christian Anthes, genannt der “Fremdenlegionär“ ging den Amerikanern, die am Waldrand standen, mit einer weißen Fahne entgegen.

Am späten Nachmittag rollten die amerikanischen Panzer in die Weiterstädter Straße ein, Kollisionen gab es höchstens mit Bollerwagen, die vom Lebensmittelwaggon abzogen. Weiße Bettlaken hingen in den Fenstern, auch in Häusern, die vor gar nicht langer Zeit noch mit Hakenkreuzfahnen geschmückt waren.

Ein Schuss im ehemaligen Rathaus

Heinrich Anthes rannte auf die Straße, so dass er beim „Weißen Schwanen“ die ersten Panzer in Arheilgen einrollen sah, die über die B 3 nach Norden Richtung Wixhausen abbogen. „Nach einiger Zeit, wir standen noch immer auf der Straße, kam aus der Rathausstraße ein Jeep gefahren. Auf dem rechten vorderen Kotflügel war eine Hitlerbüste befestigt, um deren Hals eine Schnur befestigt war. Sie war an der Antenne verknotet. Sie hielten am Rathaus und wollten es besetzen. Da die Tür verschlossen war, schossen sie das Schloss auf. Ich glaube dies war der einzige Schuss, der bei der Besetzung Arheilgens fiel,“ erzählt er.

„Hällo Girls“

Auch Else Dann war an diesem Tag „uff de Gass. Ich wollt doch „sääje, woas jetzt bassiert. ‚Mir wärrn goanz bestimmt verteidigt‘, hot däs große „Noachbarsmädche gesoagt“. Erst wollten sie davon rennen doch „doa homme uns rumgedreht – un de ersde Amerikaner in unserm Läwe gesäje, junge schmoale Kärlcher mit Kaugummi im Mund und Maschinenpistole im Oarm. … Vor Schreck hommer glei die Ärm hochgerisse… . De vornersde hot zu uns hergeguckt. ‚Hällo Girls!‘ hoter lässig gesaot un gelacht. – Wie befreiend muss dieses Lachen gewesen sein?

Pfarrer Grein predigt im Gedenkgottesdienst

Am 29. April 1945, also noch vor der deutschen Kapitulation am 8.Mai, predigte Pfarrer Grein in einem Gedenkgottesdienst und sagte diese Worte:

„Nun da der Krieg in kurzem vor seinem grausigen Ende steht, ziehen sie noch einmal im Geist an uns vorüber, die vielen, vielen Scharen, die unsere Brüder waren… Wie viele Hoffnungen sind entschwunden, wie viel wertvolles Blut vergossen, wie viele junge Ehen getrennt, wie viele Trümmerhaufen in Stadt und Land, und es dünkt uns als vollendete Sinnlosigkeit, diesen Krieg auch nur einen Tag noch weiter fortzusetzen“.  

Weiter sagte Grein,  der selbst der Bekennenden Kirche angehörte, mutig gegen die nationalsozialistische Gleichschaltung in der Kirche vorging, wegen seiner Humanität und Nächstenliebe von den nationalsozialistischen Machthabern und Kirchenoberen drangsaliert wurde:  „Und liegt noch unsagbar viel schwerer auf unseren Seelen, was nun offenbar geworden ist: die unsagbaren furchtbaren Gräuel, die Grausamkeit, mit der das zusammenbrechende System seine Macht aufrecht zu erhalten suchte, die Gräuel und Verbrechen in den Konzentrationslagern, die dort begangen wurden. Wir wussten von manchem wenig, ahnten schlimmes, aber die entsetzliche Wirklichkeit in ihrem ganzen Umfang kannte die Mehrheit unseres Volkes nicht. Und wir empfinden es als kaum zu tilgende Schuld, dass wir schwiegen, wo wir in aller Öffentlichkeit wohl hätten reden müssen.“

Fotos und Bildunterschriften:

BU – Foto 1: Löwen- Eck (in: Fotografien aus Alt-Arheilgen S.35)

Das Löwen-Eck in den dreißiger Jahren mit Blick auf die Drogerie Brücher und in die Darmstädter Gaß mit dem damaligen Gebäude der Gaststätte „Zur Krone“. Dahinter – heutiger Kundenparkplatz der Volksbank – stand das Haus der Familie Benz. Im Archiv des Geschichtsvereins gibt es kein Foto mit der Panzersperre. Wer noch Fotos aus den letzten Kriegstagen hat, bitte beim AGV melden. (Foto:AGV)

BU – Foto 2: Familie Benz (in: Fotografien aus Alt-Arheilgen, S.94)

August Benz (v.l.)  mit Geschwistern und Mutter Margarethe Benz im Hof ihres Hauses in der Darmstädter Straße (heute: Kundenparkplatz Volksbank). August Benz gehörte zu den Arheilgern, die die Panzersperre am Löwen-Eck abbauten. (Foto: AGV)

BU – Foto 3: Pfarrer Grein

Pfarrer Grein trommelte Arheilger Frauen zusammen. Sie überredeten den befehlenden deutschen Wehrmachtsoffizier, im Ort ein sinnloses Blutbad zu vermeiden. (Foto: AGV)

BU- Foto 4: Lager des Reichsarbeitsdienstes

Das Lager des Reichsarbeitsdienstes wurde in den letzten Kriegstagen nach den Erinnerungen von Zeitgenossen erst durch einen Tieffliegerangriff und dann vom abrückenden Reichsarbeitsdienst in Brand gesetzt. Nach Heinrich Anthes stand es in der Nacht vom 24. auf den 25. März in Flammen.

(Foto: Sammlung Peter Merschroth)

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