Orhelljer Köpp

  • „Oarhelljer Köpp“ Die Georg Mampels – Leben für Demokratie und Gerechtigkeit – Folge 4

    Der Arheilger Geschichtsverein stellt in dieser Rubrik Menschen vor, die das Leben im Ort am Ruthsenbach prägten, den Alltag in besonderer Weise repräsentierten oder Leistungen erbrachten, die sie über die Ortsgrenzen hinaus bekannt gemacht haben. In einer kleinen Serie mit vier Folgen berichten wir nun über vier Mitglieder der Familie Mampel, die von Mitte des 19. bis Ende des 20.Jahrhunderts in Arheilgen lebten. Alle vier trugen den Namen Georg Mampel.

    Georg Mampel – Wer ist wer?

    Früher wurde in Arheilger Familien nur eine kleine Anzahl von Vornamen vergeben. Um die oft gleichnamigen Familienangehörigen besser unterscheiden zu können, erhielten sie alle noch eine römische Zahl. Manchmal wurde diese Nummerierung auch nachträglich von Familienforschern vergeben, so dass wie bei unseren Georgs ein Nummernsalat entstand. Deshalb erhielten unsere Georgs nachträglich noch „Spitznamen“, so wie es in Arheilgen früher ebenfalls weit verbreitet war.

    Georg Mampel IVa, geb. 31.03.1853 – gest. 23.04.1922, gelernter Eisendreher. Er ist ein „Pionier“ der Arheilger Arbeiterbewegung und Vater des Netzwerkers.

    Georg Mampel IV, geb. 21.02.1881 – gest. 19.01.1973, gelernter Schlosser. Er ist der „Netzwerker“ der Arbeiterorganisationen, Vater des Chronisten und ein Onkel des Schaffers.

    Georg Mampel I, geb. 22.07.1911 – gest. 29.06.1991, gelernter Glaser. Er ist der „Schaffer“, der immer hilft und anpackt und ein Cousin unseres Chronisten.

    Georg Mampel II, geb. 6.02.1912 – gest. 23.04.1992, gelernter Kaufmann. Er ist unser „Chronist“, der akribisch die Familienchronik der Mampels und die Geschichte der örtlichen SPD aufschrieb.

    (jhb) Georg Mampel II, der Chronist, war sein Leben lang in den Organisationen der Arheilger Arbeiterbewegung aktiv. 1986 veröffentlichte die Arheilger SPD die von ihm erforschte Geschichte unter dem Titel „100 Jahre Sozialdemokratie in Arheilgen“. Die Geschichte der organisierten Sozialdemokratie reicht in Arheilgen bis in das Jahr 1878 zurück. Seit 1903 gibt es hier die Partei unter dem Namen SPD. Die Geschichte der Familie Mampel ist sehr eng mit den ersten hundert Jahren der Geschichte der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung verbunden. Bei jedem wichtigen Meilenstein war immer ein Mampel dabei. Und meistens hieß er Georg.

    Folge 4 und Ende: Wiederaufbau und demokratische Neuordnung  

    Das politische und gesellschaftliche Leben entsteht

    Unser Schaffer Georg Mampel I arbeitete nach dem Krieg zuerst in seinem gelernten Beruf als Glasermeister in einem Darmstädter Betrieb. Danach wurde er Hausmeister in städtischen Schulen u.a. in der Arheilger Brüder-Grimm-Schule und bis zur Pensionierung an der Wilhelm-Busch-Schule. „Er war immer ein freundlicher und den Schülern zugewandter Mensch,“ erinnert sich der später Oberbürgermeister Peter Benz.

    Nach der Befreiung vom Faschismus – am 25.März waren amerikanische Truppen in Arheilgen eingerückt – beteiligte er sich sofort am Wiederaufbau des politischen, gewerkschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens in Arheilgen. Er nahm an der Neugründung der SPD im Sommer 1945 teil und führte ab 1946 über 30 Jahre deren Kassengeschäfte.  Ebenso war er 1945 an der Wiedergründung der Arbeiterwohlfahrt beteiligt und Gründungs- und Vorstandsmitglied der Sportgemeinschaft Arheilgen (SGA), in der sich die ehemals fünf selbständigen Sportvereine des Ortes zusammenschlossen.

    Da Arheilgen 1937 nach Darmstadt eingemeindet worden war, waren auch die Arheilger am 26. Mai 1946 aufgerufen, an der ersten demokratischen Wahl zur Darmstädter Stadtverordnetenversammlung nach dem Krieg teilzunehmen. Mit einem Stimmenergebnis von fast 56 Prozent entsandten die Arheilger zwei Stadtverordnete in die Stadtverordnetenversammlung.  Von 1956 bis 1964 vertrat auch Georg Mampel I seinen Stadtteil im Kommunalparlament.

    Erziehung zur Demokratie

    Der Netzwerker Georg Mampel IV war am Ende der Nazi-Zeit 64 Jahre alt. Bis zur seiner Pensionierung 1944 arbeitete er als Schlosser bei der Herdfabrik Gebrüder Roeder AG in Darmstadt. Diese stellte kriegswichtige Ausrüstung her. Nach dem Krieg wirkte er an der Wiedergründung der SPD, des Gesangsvereins „Treue“ und der Metallgewerkschaft mit.

    Für die Kinder engagierte er sich in der Nachkriegszeit ganz besonders. So beteiligte er sich an den Kindererholungsfreizeiten der Arbeiterwohlfahrt, zuerst am Arheilger Mühlchen, später im AWO-Kinderheim „Kinderglück“ in Eberstadt.

    Nachdem sein Sohn Georg Mampel II, unser Chronist, 1948 aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt war, gründete dieser mit weiteren Helfern aus der früheren SAJ und den Kinderfreunden – unter anderem der späteren SPD-Stadtverordneten Käthe Langendorf (geb. Büttner) – die erste Kindergruppe der Sozialistischen Jugend Deutschlands – Die Falken. Die Falken veranstalteten später sogar internationale Zeltlager auf ihrem Zeltplatz an der Dianaburg. Die nachwachsende Generation sollte zu Demokratie, grenzüberschreitende Freundschaft und Solidarität erzogen werden. Im später errichteten Falkenheim in der Fuchsstraße hat das „Rotzfreche Spielmobil“ der Falken noch immer seine Geschäftsstelle.

    Baugenossenschaft Arheilgen – Parteiübergreifende Zusammenarbeit

    Arheilgen hatte 1949 rund 11.000 Einwohner. Obwohl die Siedlungen in Arheilgen weitgehend von Bombenangriffen verschont blieben, herrschte Wohnungsnot. Deshalb wurde auf Initiative von Arheilger Sozialdemokraten, vor allem dem Vorsitzenden Fritz Wernath, 1949 die Gemeinnützige Baugenossenschaft Arheilgen gegründet.

    Der Schaffer Georg Mampel I gehörte ab 1952 für 20 Jahre dem Aufsichtsrat dieser Genossenschaft an. Durch ihre Bautätigkeit erhielten viele Familien ein neues Dach über den Kopf. Den Vorstand der Genossenschaft bildeten Mitglieder aus SPD, CDU und Gewerkschaften. Langjähriger Architekt war Phillip Benz. Als überzeugter Kommunist saß er unter den Nazis zeitweise im KZ Osthofen ein und blieb seiner Überzeugung bis zum Lebensende treu. Dies war aber kein Hindernis für eine sachdienliche parteiübergreifende Zusammenarbeit für Demokratie und sozialen Fortschritt.

    Aktive Gewerkschafter und Kommunalpolitiker

    Als Georg Mampel II 1948 krank aus russischer Kriegsgefangenschaft zurück nach Arheilgen kam, konnte er aus betrieblichen Gründen nicht von seinem alten Betrieb übernommen werden. Nach Jahren der Arbeitslosigkeit, dem Arbeitsvermittlungsverbot unter den Nazis und kurzer Selbstständigkeit hatte der begeisterte Stenograf 1936 nach vielen Widerständen beim Winkler-Verlag, der Publikationen für Kurzschrift und Maschineschreiben herausgab, eine Anstellung gefunden. Nun fand er im Juni 1948 eine Anstellung bei der DEGUSSA in Frankfurt und organisierte sich in der IG Chemie, Papier, Keramik. Jahrzehntelang arbeitete bis zur Rente 1977 als gewerkschaftlicher Vertrauensmann, zuletzt auch als Betriebsrat. Von 1960 bis 1972 engagierte es sich im Angestelltenausschuss seiner Gewerkschaft.

    Von Ende der 40iger Jahre bis Mitte der 60iger Jahre gehörten Georg Mampel I und Georg Mampel II gemeinsam mit dem IG Metallsekretär Fritz Wernath zu den prägenden Sozialdemokraten in Arheilgen. 

    Die lokalen Interessen vertraten sie auch in den Darmstädter Parteigremien, Georg Mampel I und Fritz Wernath wirkten zudem als Stadtverordnete. Fritz Wernath war sogar von 1956-1964 Vorsteher der Stadtverordnetenversammlung. Und sie blieben mit ihren Arheilgern im Gespräch. Beim großen Waldfest, das die Nachkriegs-SPD an der Dianaburg oder dem George-Brünnchen mit der Bevölkerung jährlich zu Pfingsten feierte, war insbesondere auf den Schaffer Georg Mampel verlass.

    Auch Georg Mampel II war immer kommunalpolitisch aktiv, ohne ein politisches Mandat zu haben. „Akribisch arbeitete er die Wahlergebnisse auf, analysierte Stärken und Schwächen der Wahlkämpfe und sorgte für regelmäßige Information der Bevölkerung in wahlkampffreien Zeiten“, erinnert sich der spätere Oberbürgermeister Peter Benz.

    „Ehret die gute Tat“

    Anlässlich Fritz Wernaths 65. Geburtstages riefen die Arheilger SPD, das Ortskartell der Gewerkschaften und die Arbeiterwohlfahrt unter kräftiger Mitwirkung der Mampel-Cousins die Fritz Wernath-Stiftung ins Leben. Sie stand unter dem Motto „Ehret die gute Tat“. Die Stiftung ehrte über viele Jahre Arheilger oder Arheilgerinnen oder eine ganze Gruppe des Stadtteils, die eine gute Tat vollbracht hatten.

    Auch die Mampels wurden für ihre guten Taten geehrt – von den Organisationen, in denen sie ehrenamtlich aktiv waren, von der Stadt Darmstadt, dem Land Hessen und der Bundesrepublik Deutschland. So erhielt unser Netzwerker Georg Mampel IV 1961 die Ehrenurkunde der Stadt Darmstadt für verdiente Bürger, unser Schaffer Georg Mampel I und unser Chronist Georg Mampel II erhielten diese 1977, beide empfingen Ende der 70iger den Ehrenbrief des Landes Hessen und 1983 wurde Georg Mampel II mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Bis ins hohe Alter – so Peter Benz – habe der Familien- und Parteichronist Georg Mampel gemahnt: „Demokratie ist nicht selbstverständlich. Ihr müsst schwätzen mit die Leut.“

    Bild 1  – Bürgerehrung -BU:
    (W. Kumpf/AGV) 1977 erhielten Georg Mampel I, unser „Schaffer“ (2.v.l.), und Georg Mampel II, unser Chronist (1.v.l.), die Ehrenurkunde der Stadt Darmstadt für verdiente Bürger. Oberbürgermeister H.W. Sabais (vorne rechts) überreichte die Urkunde.
    Bild 2 – Kinderfreizeit -BU:
    (AGV) Unser Netzwerker Georg Mampel IV setzt sich auch noch als Rentner nach der Befreiung vom Faschismus für das Wohlergehen und die Rechte der Kinder ein. Getreu eines Liedes der Falken sollten sie das „Bauvolk“ einer gerechteren und demokratischen Welt werden. Hier ist er auf einer Kinderfreizeit der Arbeiterwohlfahrt zu sehen.
    Bild 3 – Fritz Wernath- BU:
    Fritz Wernath (geb.1899- gest.1964) lebte ab 1946 in Arheilgen. Der Gewerkschafter wurde 1956 für die Arheilger SPD zum Stadtverordneten gewählt, von 1956 bis 1964 war er Stadtverordnetenvorsteher. Er initiierte die Gründung der Baugenossenschaft Arheilgen, die nach dem Krieg mehr als hundert Siedlungshäuser in Arheilgen errichtete. Nach ihm ist die Fritz-Wernath- Siedlung rund um den Stadtweg benannt.
    Bild 4 – Kriegsgefangenen Ausweis – BU:
    (AGV) Im August 1939 kurz vor dem Überfall Nazis-Deutschlands auf Polen wurde unser Chronist Georg Mampel II zum Kriegsdienst eingezogen. Bis 1948 blieb er als Kriegsgefangener in Russland, der UdSSR. Danach beteiligte er sich mit großem demokratischem Engagement an der demokratischen Neuordnung in Arheilgen und Darmstadt.

  • „Oarhelljer Köpp“ Die Georg Mampels – Leben für Demokratie und Gerechtigkeit – Folge 3

    Der Arheilger Geschichtsverein stellt in dieser Rubrik Menschen vor, die das Leben im Ort am Ruthsenbach prägten, den Alltag in besonderer Weise repräsentierten oder Leistungen erbrachten, die sie über die Ortsgrenzen hinaus bekannt gemacht haben. In einer kleinen Serie mit vier Folgen berichten wir nun über vier Mitglieder der Familie Mampel, die von Mitte des 19. bis Ende des 20.Jahrhunderts in Arheilgen lebten. Alle vier trugen den Namen Georg Mampel.

    Georg Mampel – Wer ist wer?

    Früher wurde in Arheilger Familien nur eine kleine Anzahl von Vornamen vergeben. Um die oft gleichnamigen Familienangehörigen besser unterscheiden zu können, erhielten sie alle noch eine römische Zahl. Manchmal wurde diese Nummerierung auch nachträglich von Familienforschern vergeben, so dass wie bei unseren Georgs ein Nummernsalat entstand. Deshalb erhielten unsere Georgs nachträglich noch „Spitznamen“, so wie es in Arheilgen früher ebenfalls weit verbreitet war.

    Georg Mampel IVa, geb. 31.03.1853 – gest. 23.04.1922, gelernter Eisendreher. Er ist ein „Pionier“ der Arheilger Arbeiterbewegung und Vater des Netzwerkers.

    Georg Mampel IV, geb. 21.02.1881 – gest. 19.01.1973, gelernter Schlosser. Er ist der „Netzwerker“ der Arbeiterorganisationen, Vater des Chronisten und ein Onkel des Schaffers.

    Georg Mampel I, geb. 22.07.1911 – gest. 29.06.1991, gelernter Glaser. Er ist der „Schaffer“, der immer hilft und anpackt und ein Cousin unseres Chronisten.

    Georg Mampel II, geb. 6.02.1912 – gest. 23.04.1992, gelernter Kaufmann. Er ist unser „Chronist“, der akribisch die Familienchronik der Mampels und die Geschichte der örtlichen SPD aufschrieb.

    (jhb) Georg Mampel II, der Chronist, war sein Leben lang in den Organisationen der Arheilger Arbeiterbewegung aktiv. 1986 veröffentlichte die Arheilger SPD die von ihm erforschte Geschichte unter dem Titel „100 Jahre Sozialdemokratie in Arheilgen“. Die Geschichte der organisierten Sozialdemokratie reicht in Arheilgen bis in das Jahr 1878 zurück. Seit 1903 gibt es hier die Partei unter dem Namen SPD. Die Geschichte der Familie Mampel ist sehr eng mit den ersten hundert Jahren der Geschichte der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung verbunden. Bei jedem wichtigen Meilenstein war immer ein Mampel dabei. Und meistens hieß er Georg.

    Folge 3: Verteidigung und Demontage der Demokratie

    Jugend in der Arbeiterbewegung

    Selbstverständlich waren die beide Cousins Georg Mampel I , der Schaffer ,und der spätere Chronist Georg Mampel II Mitglieder in der Sozialistischen Arbeiterjugend Arheilgens. Sie nahmen an deren Gruppenabenden und überörtlichen Jugendtagen teil. Nach einem Sommerzeltlager für Kinder arbeitsloser Familien, das die Arheilger Arbeiterwohlfahrt veranstaltet hatte, gehörte Georg Mampel II im Herbst 1931 zu den Mitgründern einer Ortsgruppe der sozialistischen „Reichsarbeitsgemeinschaft der Kinderfreunde“. In den Kindergruppen dieser Organisation, den Gruppen der Roten Falken, gestalteten die Arbeiterkinder ihre Freizeit, übten sich in Solidarität und demokratischen Entscheidungen.  Georg war ihr Gruppenleiter, Kätha Wesp, Katharina Büttner, spätere Langendorf, Jakob Hahn und Wilhelm Lutz zählten ebenso zu den Helfern der Kindergruppen.

    Um die Demokratie wehrhaft zu machen, wurde schon 1924 der republikanische Schutzbund „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“ gegründet, Anfang der 30iger Jahre zählte der Wehrverband ca. 3 Millionen Mitglieder. Die beiden Cousins zählten zu den Arheilger Reichbanner-Leuten und waren zudem Schützen im Kleinkaliberschützenverein „Republik“. Als sich unser Netzwerker Georg Mampel IV aus dem Vorstand der örtlichen SPD zurückzog, rückte sein Sohn, der spätere Chronist, Georg Mampel II, als Vorsitzender der Sozialistischen Arbeiterjugend nach.

    Unser „Schaffer“ Georg Mampel I hatte nach der Schulzeit das Glaser-Handwerk erlernt. Georg Mampel II absolvierte nach der Handelsschule eine kaufmännische Lehre in der Eisengroßhandlung Gebrüder Trier in Darmstadt. Nach seiner Lehrzeit Ende September 1931 teilte ihm das Unternehmen jedoch mit, dass man ihm „infolge der wirtschaftlichen Verhältnisse“ keine Position im Hause schaffen könnte. So wurde auch er mitten in der Weltwirtschaftskrise arbeitslos. 1931 traf die Arbeitslosigkeit rund 4,5 Millionen Menschen in Deutschland, der Höhepunkt wurde 1932 mit 5,6 Millionen erreicht.

    Arheilgen bleibt auf demokratischem Kurs

    In der Weimarer Republik waren die Sozialdemokraten auf Reichsebene von 1919 bis Ende 1923 und von 1928 bis 1930 in Regierungsverantwortung.  1930 zerbrach die Große Koalition, die der SPD-Reichskanzler Müller angeführt hatte, an der Neuregelung der Arbeitslosenversicherung. Der massenhafte Aufstieg der Nationalsozialisten begann.

    In den Reichstagswahlen im September 1930 wurde die NSDAP mit 18,3 Prozent durch einen explosionsartigen Stimmenzuwachs von 15,5 Prozent im Reichstag die zweitstärkste politische Kraft hinter der SPD mit 24,5 Prozent. In Arheilgen lagen die Verhältnisse noch anders: Die SPD bekam hier 58 Prozent der Stimmen, die KPD 8,1 Prozent und die NSDAP zunächst nur 9,1 Prozent der Stimmen.

    Die Aufbauarbeit des Netzwerkers Georg Mampel IV, des Bürgermeisters Jakob Jung, des  Beigeordneten Thomas Spengler und ihrer Parteifreunde zahlte sich sich in der Wirtschaftskrise in Arheilgen aus: Das sozialdemokratisch geprägte Vereinsleben und eine sozial verantwortungsvolle Politik des Gemeinderates fing die Arbeiterfamilien auch in der Wirtschaftskrise auf. Gelebte Solidarität, Bildungs- und antifaschistische Aufklärung durch SPD und Gewerkschaften wirkten wie politische Leitplanken:  Arheilgen blieb lange Zeit auf demokratischem Kurs.

    Besonders kreativ und beliebt waren in Arheilgen die Auftritte des politischen Kabaretts „Die Roten Funker“. Junge sozialdemokratisch gesinnte Männer und Frauen hatten es ins Leben gerufen. Darunter waren selbstverständlich auch unsere beiden Cousins der Familie Mampel. Auf einer Freilichtbühne im Hof des „Goldenen Löwen“ begeisterten sich bis zu 1000 Zuschauer an satirischen Spielszenen, Liedern und Rezitationen. Die Auftritte hatten allerdings ein Nachspiel: Nach der Machtübergabe an die Nazis wurde der Hitlerimitator Wilhelm Lutz einige Zeit im Konzentrationslager Osthofen inhaftiert.

    Hakenkreuzler ziehen durch die Straßen

    Am 30. Januar 1933 wird Hitler zum Reichskanzler ernannt. Die nationalsozialistischen Architekten der Macht bauten den NS-Unterdrückungsapparat. Sie lösten den Reichstag auf, sie drangsalierten Kommunisten, Sozialdemokraten und aufrechte Demokraten. Am 5. März 1933 fanden die letzten Reichstagswahlen der Weimarer Republik bereits unter undemokratischen Bedingungen statt. Dennoch: In Arheilgen wurde die NSDAP mit 32,5 Prozent der Stimmen nur die zweitstärkste politische Kraft, 45,5 Prozent der Wähler unterstützten weiterhin die SPD, 12,2 Prozent gaben ihre Stimmer der KPD.

    Bereits in der Nacht zum 7.März zogen die sogenannten Hilfspolizisten der SA vor das Haus des sozialdemokratischen Fraktionsvorsitzenden im Gemeinderat, Peter Nicolaus, und bedrohten ihn. Der Straßen- und Meinungsterror nahm auch Arheilgen in den Griff.

    Auflösung der kommunalen Selbstverwaltung

    Die Nazis hoben die Selbstverwaltung der Gemeinden auf. Zunächst wurde der Gemeinderat auf Grundlage des Wahlergebnisses vom 5.März 1933 neu besetzt. Danach erhielt die SPD in Arheilgen weiterhin 8 von 15 Sitzen, auch unser alter Netzwerker Georg Mampel erhielt ein Mandat. Die abgegebenen Stimmen für die KPD blieben bei der Benennung unberücksichtigt. Obwohl nicht in einer Gemeinderatswahl gewählt, wurden sechs Nazi benannt, darunter der NSDAP-Ortsgruppenleiter Julius Birkenstock.

    Im April enthoben die Nazis Bürgermeister Jakob Jung seines Amtes, und inthronisierten Julius Birkenstock; daraufhin nahmen Georg Mampel und die anderen ernannten sozialdemokratischen Gemeinderäte ihre Mandate nicht an. Die Gewerkschaften wurden handstreichartig gleichgeschaltet. Dann okkupierten die Nazis den Konsumverein. Die SPD und ihre Vereinsfamilie wurden verboten. Zahlreiche Arheilger Sozialdemokraten mussten sich regelmäßig bei der Polizei melden. Wie zuvor die Kommunisten erhielten sie Schreib- und Berufsverbote oder kamen ins Konzentrationslager.

    Arbeitsverbote und Kriegsdienst

    Unser Chronist Georg Mampel II blieb trotz seines guten Berufsabschlusses bis 1936 arbeitslos. In der Akte des Arbeitsamtes wurde er als „ehemaliger marxistischer Funktionär“ geführt, dem keine Anstellung vermittelt werden durft. Zwischenzeitlich machte er sich mit einem Schokoladengeschäft selbstständig.

    Nach dem Verbot des Arbeiter Turn- und Sportvereins schlossen sich die beiden Mampel-Cousins, Georg I und II, in Arheilgen der „Sportvereinigung 04“ an. Bald waren sie Mitglieder des Vereinsvorstandes. Bis 1939 widersetzte sich der Verein erfolgreich gegen einen Anschluss an den Darmstädter Nazi-Großverein „Gemeinschaft für Leibesübungen“. Im August 1939 wurde unser Chronist Georg Mampel II zum Kriegsdienst einberufen, später kam er als Unteroffizier in russische Kriegsgefangenschaft, aus der er 1948 entlassen wurde.

    Sein Cousin, der Schaffer Georg Mampel I, war ebenfalls Soldat in Russland. Das Kriegende erlebte er jedoch im Reichsgebiet und entging so der Kriegsgefangenschaft. 

    (wird fortgesetzt)

    Bild 1- Ausweis 1928- BU:
    (AGV) – Offiziell war Arheilgen bis 1930 von Frankreich besetzt. Für den Besuch der Handelsschule in Darmstadt benötigte der 16jährige Arheilger  Georg Mampel II einen speziellen Ausweis.
    Bild 2 – Wahlkampf 1928 – BU:
    (AGV) Wahlwerbung Mai 1928 in Arheilgen: Auf dem Wagen mit der Fahne u.a. Jakob Hahn. Vorsitzender der SAJ, Ludwig und Heinrich Müller, Georg Volz, Fritz Meister und Michael Seibert. Aus der Reichstagswahl 1928 ging die SPD als Gewinner hervor. Reichsweit erhielt sie 29,8 Prozent der Stimmen, in Arheilgen 61,7 Prozent. Nach 1923 kam es unter Hermann Müller zur letzten SPD-geführten Regierung in der Weimarer Republik.
    Bild 3 – pdf -Quartettkarten – BU:
    (Archiv d. AJB) Georg Mampel II war 1931 Mitbegründer der Kinderfreunde in Arheilgen. In den Falken-Gruppen und Zeltlagern der Kinderfreunde, den Kinderrepubliken, lernten Kinder demokratisches Entscheiden. Ein Hilfsmittel dafür war Kartenquartettspiel.  
    Bild 4 – Anzeige „Schoko-Buck“ – BU:
    (AGV/AA 1935) Unserer Chronist Georg Mampel wurde 1931 nach seiner kaufmännischen Ausbildung arbeitslos. Unter den Nazis wurde er ab 1933 als Sozialdemokrat vom Arbeitsamt nicht vermittelt. Er hatte einen Eintrag in der Akte und versuchte sich mit einem Schokoladengeschäft in der Unteren Mühlstraße 36  über Wasser zu halten. 1935 schaltete er im Arheilger Anzeiger diese Anzeige.

  • „Oarhelljer Köpp“ Die Georg Mampels – Leben für Demokratie und Gerechtigkeit – Folge 2

    Der Arheilger Geschichtsverein stellt in dieser Rubrik Menschen vor, die das Leben im Ort am Ruthsenbach prägten, den Alltag in besonderer Weise repräsentierten oder Leistungen erbrachten, die sie über die Ortsgrenzen hinaus bekannt gemacht haben. In einer kleinen Serie mit vier Folgen berichten wir nun über vier Mitglieder der Familie Mampel, die von Mitte des 19. bis Ende des 20.Jahrhunderts in Arheilgen lebten. Alle vier trugen den Namen Georg Mampel.

    Georg Mampel – Wer ist wer?

    Früher wurde in Arheilger Familien nur eine kleine Anzahl von Vornamen vergeben. Um die oft gleichnamigen Familienangehörigen besser unterscheiden zu können, erhielten sie alle noch eine römische Zahl. Manchmal wurde diese Nummerierung auch nachträglich von Familienforschern vergeben, so dass wie bei unseren Georgs ein Nummernsalat entstand. Deshalb erhielten unsere Georgs nachträglich noch „Spitznamen“, so wie es in Arheilgen früher ebenfalls weit verbreitet war.

    Georg Mampel IVa, geb. 31.03.1853 – gest. 23.04.1922, gelernter Eisendreher. Er ist ein „Pionier“ der Arheilger Arbeiterbewegung und Vater des Netzwerkers.

    Georg Mampel IV, geb. 21.02.1881 – gest. 19.01.1973, gelernter Schlosser. Er ist der „Netzwerker“ der Arbeiterorganisationen, Vater des Chronisten und ein Onkel des Schaffers.

    Georg Mampel I, geb. 22.07.1911 – gest. 29.06.1991, gelernter Glaser. Er ist der „Schaffer“, der immer hilft und anpackt und ein Cousin unseres Chronisten.

    Georg Mampel II, geb. 6.02.1912 – gest. 23.04.1992, gelernter Kaufmann. Er ist unser „Chronist“, der akribisch die Familienchronik der Mampels und die Geschichte der örtlichen SPD aufschrieb.

    (jhb) Georg Mampel II, der Chronist, war sein Leben lang in den Organisationen der Arheilger Arbeiterbewegung aktiv. 1986 veröffentlichte die Arheilger SPD die von ihm erforschte Geschichte unter dem Titel „100 Jahre Sozialdemokratie in Arheilgen“. Die Geschichte der organisierten Sozialdemokratie reicht in Arheilgen bis in das Jahr 1878 zurück. Seit 1903 gibt es hier die Partei unter dem Namen SPD. Die Geschichte der Familie Mampel ist sehr eng mit den ersten hundert Jahren der Geschichte der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung verbunden. Bei jedem wichtigen Meilenstein war immer ein Mampel dabei. Und meistens hieß er Georg.

    Folge 2: Die Weimarer Demokratie am Ruthsenbach

    Die Mampels in der Kettenwiesenstraße

    Am 6. Februar 1912 hatte Charlotte Mampel, die Frau des Netzwerkers Georg Mampel IV und Schwester des SPD-Vorsitzenden Jakob Jung, einen Sohn auf die Welt gebracht. Wie könnte es anders sein, erhielt er den Namen Georg II. Seit dem 22. 07.1911 war schon sein Cousin Georg Mampel I auf der Welt. Er war der Sohn Heinrich Mampels, des jüngsten Bruders von Georg IV, und dessen Frau Marie, geborene Frickel.  Ab 1913 lebten Georg I und Georg II für Jahrzehnte nebeneinander in der Kettenwiesenstraße 6 und 8. Ein zweites Zuhause fanden die beiden Cousins In der Arbeiterbewegung Arheilgens. Georg Mampel I war ein bodenständiger Mensch, der an keiner praktischen Arbeit vorbeigehen konnte. Wir nennen ihn den „Schaffer“. Georg Mampel II wird später zum Chronisten der Geschichte des Milieus, in dem er aufwuchs.

    Die im ersten Weltkrieg mit der Bewilligung der Kriegskredite ausgelöste Spaltung der Arbeiterbewegung wirkte sich in Arheilgen nicht so einschneidend aus wie auf der Ebene des Reichs. Von Aktivitäten einer Ortsgruppe der Unabhängigen Sozialdemokraten (USPD) in Arheilgen ist nichts bekannt, ihre Wahlergebnisse im Ort waren im Verhältnis zur SPD unbedeutend, die Kommunistische Partei (KPD) blieb am Ruthsenbach eine Kleinpartei.

    1918: Eine besondere Bescherung am Heiligabend.

    Nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs im November 1918 und der Ausrufung der Republik war unser Netzwerker, Georg Mampel IV, Mitglied des Arheilger Arbeiter-, Bauern- und Soldatenrates. Das sechsköpfige, selbstorganisierte Gremium kümmerte sich vor allem um die Sicherstellung der Ernährung der ausgemergelten Bevölkerung. Doch schon am 22. Dezember rückten französische Truppen über ihren Brückenkopf Mainz an und besetzten den größten Teil Arheilgens. So war es im Waffenstillstandsvertrag vereinbart worden.  Arheilgen war abgeriegelt von Darmstadt.  Die Arbeiterräte mussten nach Hause gehen. Die Betätigung von Parteien und Vereinen wurde zunächst untersagt. Die Verfügung des französischen Ortskommandanten, nach der alle wehrpflichtigen jungen Männer bis zum 24.Dezember um 18 Uhr Arheilgen hätten verlassen müssen, konnte kurz vor Ablaufen der Frist rückgängig gemacht werden.

    Die französische Besatzung wurde offiziell erst 1930 aufgehoben. Vor allem in den Anfangsjahren der Weimarer Republik erschwerte sie mit Zoll- und Grenzkontrollen das Alltagsleben in Arheilgen. Bei immer wieder vorkommenden Abriegelungen war der Weg zur Arbeit außerhalb der Zone versperrt. Die Anlieferung notwendiger Lebensmittellieferungen aus dem unbesetzten Gebieten wurde zeitweise erschwert.

    Jakob Jung wird Bürgermeister

    Am 30.11.1919 wählten die Männer und Frauen Arheilgens mit großer Mehrheit den SPD-Vorsitzenden Jakob Jung zum Arheilger Bürgermeister. Es war der Onkel von Georg Mampel II, unserem Chronisten. Bis zu seiner Absetzung durch die Nazis im April 1933 wurde Jung in jeder demokratischen Bürgermeisterwahl in seinem Amt bestätig. In der bereits am 9. 11.1919 durchgeführten Gemeinderatswahl erhielt die SPD 2051 Stimmen. Das waren 63,9 Prozent. Die Partei erhielt 12 von 18 Gemeinderatsmandaten. Bis zu ihrem Verbot 1933 blieben die Sozialdemokraten die bestimmende politische Kraft Arheilgens.

    Der Separatistenaufstand

    Unter dem Schutz der französischen Besatzung entstand 1923 im Rheinland eine Separatistenbewegung, die eine Loslösung dieses Gebietes von der jungen Weimarer Republik anstrebte. Diese schwappte im Herbst 1923 auch nach Arheilgen. Die politischen Separatisten wollten den Ort in die sogenannte Rheinische Republik überführen. Die große Mehrheit der Arheilger stellte sich dagegen. Daraufhin wurden Ende Oktober 28 Arheilger Bürger des öffentlichen Lebens, die sich von den „Separatisten“ nicht beirren ließen, von der französischen Besatzungsmacht verhaftet. Darunter waren der mittlerweile zum Bürgermeister gewählte Jakob Jung, der SPD-Vorsitzende Georg Spengler, der Feuerwehrhauptmann Kunz, mehrere Landwirte und Pfarrer Karl Grein. Sie mussten im Militärgefängnis in Wiesbaden einsitzen. Der ehemalige Arbeiter- und Soldatenrat Georg Mampel  stand ebenfalls auf der schwarzen Liste und konnte sich der Verhaftung nur durch Flucht zur Schwägerin nach Darmstadt entziehen. Erst am 6. Dezember 1923 kamen seine Arheilger Genossen und Mitbürger wieder frei.

    Politik im Gemeinderat Arheilgens

    In den Anfangsjahren der Republik kümmerte sich der Gemeinderat vor allem um die Grundversorgung der Bevölkerung: Unter Besatzungsbedingungen sicherten sie die Versorgung mit Lebensmitteln, so gab es auch wiederholt Verhandlungen über die Preispolitik der örtlichen Landwirte. Ein Gemeindewohlfahrtsamt wurde gebildet und ein politischer Wohlfahrtsausschuss eingerichtet, der u.a. über die Beihilfen für arbeits- und mittellose Familien beriet. Die Versorgung mit Energie, damals vor allem mit ausreichend Brennholz aus dem Gemeindewald, war existenziell. Die Bereitstellung von Wohnraum und der Ausbau des Straßennetzes der wachsenden Industriegemeinde gehörten zu den politischen Dauerbrennern.

    Wasserball im Arheilger Mühlchen

    Anfang 1924 fasste die Gemeindevertretung Arheilgens einen fortschrittlichen Beschluss: Den Bau des Freischwimmbades „Arheilger Mühlchen“. Das Naturschwimmbad wurde noch im gleichen Jahr am 3. August eingeweiht. „Dort konnten wir nach Herzenslust Wasserball spielen“, begeisterte sich Georg Mampel II, der der Schwimmabteilung des Arbeiter-Turn- und Sportvereins angehörte., in den 

    Ab Mitte der 20iger Jahre wurde in Arheilgen die Straßenbeleuchtung elektrifiziert und mit der Kanalisierung begonnen. Im Oktober 1926 fuhr erstmals die elektrische Straßenbahn bis zu Merck und ersetzte die alte Dampf-Straßenbahn. 1925 gab es In Arheilgen 1768 Haushalte, in der Gemeinde lebten rund 7.600 Menschen.

    Bild 1 – Familie Mampel – BU:
    (W.Kumpf/AGV) Die Großeltern Charlotte und Georg Mampel IV mit ihrem Enkel Claus-Jürgen an Weihnachten 1942. Daneben die Eltern, Anna und unser Chronist Georg Mampel. Anna stammt aus der Familie Müller. Ihr Vater, Karl Müller, war schon 1884 unter dem Sozialistengesetz der damals illegalen SPD beigetreten.
    Bild 2 –  Gruppenfoto Inhaftierte – BU:
    (Kumpf/AGV)  28 Arheilger wurden Ende Oktober 1923 von der französischen Militärverwaltung verhaftet. Sie widersetzten sich der Gründung einer Rheinischen Republik, quasi einer Abspaltung der französisch besetzten Gebiete vom Deutschen Reich. Unter den Verhafteten waren Bürgermeister Jung, Pfarrer Grein, Industriearbeiter, Landwirte und Eisenbahner. Georg Mampel, der Netzzwerker, konnte durch Flucht einer Verhaftung entfliehen.
    Bild 3 – Konsum Untere Mühlstraße -BU:
    (W.Kumpf/AGV) Im November 1909 bezog die Arheilger Konsumgenossenschaft das neu errichtete Geschäftshaus in der Unteren Mühlstraße. Die Genossenschaft hatte für die Versorgung der Arbeiterfamilien eine große Bedeutung. Im ersten OG schauen Familienmitglieder des Lagerhalters Karl Müller aus dem Fenster. Heute ist die Odenwald Apotheke in dem Gebäude untergebracht.

  • „Oarhelljer Köpp“ Die Georg Mampels – Leben für Demokratie und Gerechtigkeit

    Der Arheilger Geschichtsverein stellt in dieser Rubrik Menschen vor, die das Leben im Ort am Ruthsenbach prägten, den Alltag in besonderer Weise repräsentierten oder Leistungen erbrachten, die sie über die Ortsgrenzen hinaus bekannt gemacht haben. In einer kleinen Serie mit vier Folgen berichten wir nun über vier Mitglieder der Familie Mampel, die von Mitte des 19. bis Ende des 20.Jahrhunderts in Arheilgen lebten. Alle vier trugen den Namen Georg Mampel.

    Georg Mampel – Wer ist wer?

    Früher wurde in Arheilger Familien nur eine kleine Anzahl von Vornamen vergeben. Um die oft gleichnamigen Familienangehörigen besser unterscheiden zu können, erhielten sie alle noch eine römische Zahl. Manchmal wurde diese Nummerierung auch nachträglich von Familienforschern vergeben, so dass wie bei unseren Georgs ein Nummernsalat entstand. Deshalb erhielten unsere Georgs nachträglich noch „Spitznamen“, so wie es in Arheilgen früher ebenfalls weit verbreitet war.

    Georg Mampel IVa, geb. 31.03.1853 – gest. 23.04.1922, gelernter Eisendreher. Er ist ein „Pionier“ der Arheilger Arbeiterbewegung und Vater des Netzwerkers.

    Georg Mampel IV, geb. 21.02.1881 – gest. 19.01.1973, gelernter Schlosser. Er ist der „Netzwerker“ der Arbeiterorganisationen, Vater des Chronisten und ein Onkel des Schaffers.

    Georg Mampel I, geb. 22.07.1911 – gest. 29.06.1991, gelernter Glaser. Er ist der „Schaffer“, der immer hilft und anpackt und ein Cousin unseres Chronisten.

    Georg Mampel II, geb. 6.02.1912 – gest. 23.04.1992, gelernter Kaufmann. Er ist unser „Chronist“, der akribisch die Familienchronik der Mampels und die Geschichte der örtlichen SPD aufschrieb.

    (jhb) Georg Mampel II, der Chronist, war sein Leben lang in den Organisationen der Arheilger Arbeiterbewegung aktiv. 1986 veröffentlichte die Arheilger SPD die von ihm erforschte Geschichte unter dem Titel „100 Jahre Sozialdemokratie in Arheilgen“. Die Geschichte der organisierten Sozialdemokratie reicht in Arheilgen bis in das Jahr 1878 zurück. Seit 1903 gibt es hier die Partei unter dem Namen SPD. Die Geschichte der Familie Mampel ist sehr eng mit den ersten hundert Jahren der Geschichte der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung verbunden. Bei jedem wichtigen Meilenstein war immer ein Mampel dabei. Und meistens hieß er Georg.

    Folge 1: Die Anfänge der Arheilger Arbeiterbewegung

    Als Arbeiter in der Arheilger Zündholzfabrik

    In der Frühphase der Industrialisierung trug der erste Fabrikarbeiter in der Familie Mampel mal nicht den Vornamen Georg: Er wurde auf den Namen Heinrich Ludwig Mampel (geb. 1819 – gest. 1866) getauft. Er entstammte einer in Arheilgen ansässigen Wagnermeisterfamilie. Heinrich lernte kein Handwerk und arbeitete in einer Zündholzfabrik, die am heutigen Standort der Firma Luther in der Messeler Straße gestanden haben soll.

    Sein Sohn Georg, der Pionier in unserer Geschichte, wurde 1853 in Arheilgen im Großherzogtum Hessen geboren und starb 1922 in den Anfangsjahren der Weimarer Republik. Diese Zeitspanne steht für den Wandel Arheilgens vom Bauerndorf mit großen Gasthöfen für Durchreisende zu einer Industriearbeitergemeinde mit dem Rangierbahnhof in Kranichstein. Im Süden Arheilgens siedelte sich die Firma Merck an. Im Westen, im heutigen Glockengartenviertel, errichtete die Firma Schenk ein Zweigwerg. Im Norden Darmstadt entstand das Eisenbahnausbesserungswerk, die „Knell“. Aus Bauernsöhnen wurden Industriearbeiter. Lohn und Brot suchende Handwerker siedelten sich an. Parallel zu, bäuerlich-bürgerlichen Leben entstand in Arheilgen ein Milieu aus Nachbarschaften und Organisationen, die das soziale Miteinander der Arbeiterfamilien von der Kindheit bis zum Lebensende prägten.

    Unser Pionier schaffte nicht in Arheilgen, sondern in Darmstadt in der Eisengießerei der Gebrüder Sekt und war ein Arbeitskollege von Georg Fleck. Georg Fleck zählte 1878 nachweislich zu den Mitbegründern des Arheilger Arbeiterbildungsvereins, der Keimzelle der Arheilger SPD. Der Verein wurde kurz vor dem Erlass des Sozialistengesetzes gegründet. Er sollte die politische Bildung und Interessenvertretung der Arbeiter im Sinne von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit fördern.

    Die seit 1875 in Gotha vereinigte Sozialistische Arbeiterpartei hatte in Arheilgen schon seit längerem Anhänger. Bei den Reichstagswahlen im Januar 1877 bekam ihr Kandidat im entstehenden Industriearbeiterdorf bereits 40 Prozent der abgegebenen Stimmen. Ein bemerkenswertes Ergebnis, da eine Teilnahme an Wahlen für Georg Mampel  und die anderen Arbeiter – Frauen hatten erst ab 1919 das Wahlrecht – mit Lohnverlusten verbunden war. Sie fanden wochentags statt und die Wahllokale hatten nur tagsüber während der Arbeitszeit geöffnet.

    Politik im Obrigkeitsstaat

    Unter dem Sozialistengesetz, das am 22.Oktober 1878 in Kraft trat, durften die Sozialdemokraten zwar als Einzelpersonen bei Wahlen kandidieren. Jegliche Parteiarbeit, die sozialdemokratische Presse oder offensichtliche Bildungs- und Vereinsarbeit waren aber verboten. Auch Gesangsvereine wurden vielfach wieder aufgelöst. Doch die bittere Realität der Lebensverhältnisse und die Verbundenheit der Arbeiterfamilien hielten die Idee der sozialen Gerechtigkeit lebendig. Es wurde miteinander in kleiner Runde geschwätzt. Es wurde im Verborgenen gearbeitet. Auch in Arheilgen gab es eine illegale Organisation. 1884 trat Karl Müller ihr bei – sein noch vorhandenes Mitgliedsbuch trägt die Nummer 10.  Die Familien Müller und Mampel kannten sich. Karl Müller wurde später der Schwiegervater von Georg Mampel II – dem Chronisten der hiesigen SPD.

    Als das Sozialistengesetz 1890 fiel, gründeten die Arheilger Sozialdemokraten noch im gleichen Jahr einen Arbeiter-Wahlverein. Staatsbedienstete durften weiterhin nicht der SPD angehörten. Dazu zählten unter anderem auch Arbeiter der Eisenbahnen. Deshalb wurde der Verein in Arheilgen erst 1903 in SPD umbenannt.

    Erste Erfolge der Arheilger Arbeiter-Wahlvereins

    1890 zählte Arheilgen rund 3500 Einwohner. Ende 1910 waren es fast 6400. Das Dorf wuchs und wuchs, an früheren Feldwegen, entstehen Wohnhäuser. Unser Pionier Georg Mampel erwarb im Kettenwiesenpfad, der späteren Kettenwiesenstraße, ein Grundstück. Ab 1891 lebten dort mehrere die Familien seiner Brüder und Nachkommen.

    1892 wurde der erste Sozialdemokrat, es war Ludwig Büttner, als Mitglied des Arbeiter-Wahlvereins in den Gemeinderat gewählt. 1901 saßen bereits fünf Wahlvereinsmänner im 12-köpfigen Gemeinderat. Als sich die Firma Opel 1904 in Arheilgen ansiedeln wollte, fand dies allerding keine Mehrheit im noch weiterhin bürgerlich und bäuerlich dominierten Gemeinderat.

    Organisator des sozialdemokratischen Netzwerkes

    Der älteste Sohn unseres Pioniers Georg Mampels IVa kam im Februar 1881 auf die Welt und wurde nach dem Vater auf den Namen Georg IV. getauft. Er lernte Schlosser bei der Schlosserei Donges – heute Stahlbau Donges. Georg wurde zum Organisator des sozialdemokratischen Milieus, das zunehmend die Lebenswelt in Arheilgen prägte: Mit 19 Jahren trat er dem Arbeiter-Wahlverein bei. Dem Vorstand der SPD gehörte er lange Jahre als Beisitzer an.  Seit 1893 war er Sänger im Arbeitergesangsverein, der 1904 in „Treue“ umbenannt wurde. Auch überörtlich engagierte er sich im Arbeiter-Sängerbund. Außerdem war er Gründungsmitglied und Vorstand bei den „Freien Turnern“, dem Arbeiter Turn- und Sportverein Arheilgens. In unserer Geschichte nennen wir ihn den Netzwerker.

    Das Ortskartell Arheilgen

    1903 beteiligte sich er sich an der Gründung einer Arheilger Ortsgruppe der Metallarbeitergewerkschaft. Und von 1914 bis 1919 leitete unser Netzwerker das Ortskartell, in dem die örtlichen Gewerkschaften mit allen anderen sozialdemokratischen Organisationen zusammenarbeiteten. Das Kartell organisierte beispielsweise Bildungsveranstaltungen. Außerdem engagierte er sich im Aufsichtsrat des örtlichen Konsumvereins, der seit 1903 eine wichtige Rolle in der Versorgung der Arbeiterfamilien spielte.

    Im Jahr 1911 heirateten Georg Mampel (IV) und Charlotte Jung. Sie war die Schwester Jakob Jungs, der von 1907 bis 1919 der Arheilger SPD vorsaß und während der Weimarer Republik durchgängig zum Bürgermeister Arheilgens gewählt wurde. Charlotte und Georg Mampel wohnten in den ersten Jahren ihrer Ehe mit der Familie Jung unter einem Dach in der Unteren Mühlstraße 4.

    Bild 1- Gruppenfoto mit Buchpräsentation – BU:
    : (W.Kumpf/AGV) Der Chronist Georg Mampel II (1 v.l.) stellt 1986 sein Buch „100 Jahre Sozialdemokratie in Arheilgen“ vor. Weitere Personen v.l.n.r.: Der Fotograf Werner Kumpf, Arheilgens Bezirksverwalter Harald Rack, der damalige Bürgermeister Peter Benz, der SPD-Vorsitzende Günter Pitthan.
    Bild 2 – Kleines Gebäude vor Gaststätte Deutsches Haus- BU:
    (W.Kumpf/AGV) In der Messeler Straße (früher Dieburger Straße) erbaute der Wagnermeister Johann Jost Mampel das kleine Haus Nr. 53. Es war das Elternhaus des Fabrikarbeiters Ludwig Mampel. Jahrzehnte später wurde es zeitweise als Verteilungsstelle des 1903 gegründeten Konsumvereins Arheilgen genutzt.  Die Aufnahme entstand um 1920.
    Bild 3 – Porträt Georg Mampel –  BU:
    (W.Kumpf/AGV) Der Schlosser Georg Mampel (hier ca. 1910) war schon im Arbeiter-Wahlverein Mitglied, der 1903 in SPD umbenannt wurde. Der Netzwerker engagierte sich zeitlebens in zahlreichen Organisationen der Arbeiterbewegung.
    Bild 4 -Porträt Charlotte Mampel geb. Jung – BU
     (AGV) Charlotte Mampel (geb. 3.8.1878 – gest. 27.02.1956). Sie war die Schwester des späteren Bürgermeisters Jakob Jung. 1911 heiratete sie Georg Mampel, den Netzwerker.
  • „Oarhelljer Köpp“ 3. Teil

    Der Arheilger Geschichtsvereins erinnert 85 Jahre nach dem Novemberpogrome 1938 stellvertretend für alle anderen Opfer der Nazi-Herrschaft an die jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger Johanna Reinhardt, Dora Stern und die Familie Wechsler

    Novemberpogrome 1938

    Aaron Reinhardt, der Verleger des Arheilger Anzeigers, mit seiner Tochter Johanna Reinhardt lebten in der Großen Obergasse. Das Foto zeigt sie Anfang der 30iger Jahre Sie wurden im November 1938 Opfer der Nazi-Gewalt. Foto: AGV.


    Ein weiteres Opfer des Novemberpogroms war Dora Stern (links). Hier mit ihrer Cousine Emma Adler. Dora Stern führte einen kleinen Kolonialwarenladen mit einem Café in der Großen Hundsgasse 9. Die Arheilger nannten es „Kaffeehaus Dort’che“ Foto: AGV.

    Vor 85 Jahren brannten in der Nacht vom 9. auf den 10. November die Synagogen in Deutschland. In einer geplanten Aktion drangsalierten, misshandelten und töteten sogenannte Vertrauenspersonen der NSDAP, vor allem aus der Schlägerbande der SA, jüdische Menschen. Die Gotteshäuser wurden zerstört, ihre Geschäfte und Wohnungen in großer Zahl verwüstet.

    In Arheilgen schlugen die Nazis am 10. November zu. Mit Äxten und Beilen wüteten sie in der Felchesgasse im Haus der Familie Wechsler. Dort wohnten die Angehörigen von Heinrich Wechsler, den ein SA-Mann bereits im März 1933 in den Tod getrieben hatte. In der benachbarten Obergasse lebte der langjährige Verleger des Arheilger Anzeigers, Aaron Reinhardt mit seiner 32jährigen Tochter Johanna. Arheilger SA-Männer drangen in die Wohnräume im ersten Obergeschoss des Hauses ein und überraschten die Reinhardts im Schlaf. Aus Furcht vor den Gewalttätern sprang Johanna aus dem Fenster der Wohnung. Hilfe aus der Nachbarschaft kam nur von Pfarrer Grein, der um die Ecke im Pfarrhaus wohnte. Was niemand sich traute: Er veranlasste die Überführung Johannas in ein Krankenhaus. Johanna Reinhardt starb zwei Tage später an ihren Verletzungen, ihr Vater nahm sich im Dezember des Jahres das Leben.

    Noch ein weiteres Opfer fand der Terror des 10. Novembers in Arheilgen:  Randalierer zertrümmerten mit Steinen die Scheiben des kleinen Ladens und Cafés, das Dora Stern in der Großen Hundsgasse (heute: Nach dem Wieschen Nr. 9) betrieb. Dora Stern wurde am Kopf getroffen und starb ebenfalls zwei Tage später an den Folgen der Verletzung.

    Heute erinnern Stolpersteine vor den ehemaligen Wohnorten an diese Opfer des Novemberpogroms. Die Große Obergasse wurde zur Mahnung vor Antisemitismus, Rassenwahn und Fremdenfeindlichkeit in Aaron-Reinhardt-Straße umbenannt. Und die Warnung Berthold Brechts ist aktuelle denn je: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“