(jhb) Der Arheilger Geschichtsverein stellt in dieser Rubrik Menschen vor, die das Leben im Ort am Ruthsenbach prägten, den Alltag in besonderer Weise repräsentierten oder Leistungen erbrachten, die sie über die Ortsgrenzen hinaus bekannt gemacht haben. In dieser Folge erinnern wir an den evangelischen Pfarrer Johannes Jourdan. Sie erscheint in zwei Teilen. Heute erscheint Teil 2/2.
Vor fast genau fünf Jahren, am 25. Januar 2020, starb der langjährige Arheilger Pfarrer Johannes Jourdan im Alter von 96 Jahren. Bis 1986 wirkte er 34 Jahre lang als Evangelischer Pfarrer, zuerst in der Auferstehungskirche und dann als Gründungspfarrer in der Kreuzkirchengemeinde. Die Arheilger kannten ihn nicht nur als bibelkundigen Theologen, sondern auch als den CVJM-Pfarrer, den Jazz-Pfarrer, den Fußball-Pfarrer. So viele Spitznamen, so viele Talente: Bis weit über die Grenzen Arheilgens hinaus war er als ein schaffensfreudiger und erfolgreicher Liederdichter, Lyriker, Sachbuchautor und Melodienkomponist bekannt, dessen Lieder und Oratorien noch heute gesungen und aufgeführt werden.
Der Pfarrer-Dichter schrieb über 1000 Lieder
Früh begegnete Jourdan dem aus Arheilgen stammenden Theaterkritiker und Feuilletonisten Georg Hensel. Beide waren Jahrgang 1923 und Jourdan fragte Hensel um Rat, ob er seiner Leidenschaft, Gedichte zu schreiben, weiter nachgehen solle. Hensel machte dem Pfarrerdichter wenig Mut. Sinngemäß soll er gesagt haben: Es gibt nur 100 gute Gedichte – und die meisten sind von Goethe. Johannes Jourdan ließ sich davon nicht abschrecken – es entstand ein Lebenswerk von rund 2000 Gedichten und Liedtexten, wie sein Sohn Martin schätzt. Etliche Gedichte und über 1000 Liedtexte wurden vertont und veröffentlicht.
„Inhalte neu zum Klingen bringen“
In seiner christlichen Lyrik setzte er sich mit den Fragen des Glaubens, der Reue, der Bitte, der Freude und der Überwindung des Leidens auseinander. Er arbeitete mit zahlreichen renommierten Komponisten zusammen, in den 1960iger und 70iger Jahren vor allem mit Siegried Fietz und dann rund zwanzig Jahre mit Klaus Heizmann. Er war mit dem jüdischen klassischen Komponisten Wilhelm Rettich befreundet. Seine Werke sind auf ca. 60 CDs und Langspielplatten veröffentlicht. In über hundert Liederbüchern sind Text abgedruckt, auch in Kirchenliederbüchern verschiedener christlicher Religionsgemeinschaften. Im katholischen Gesangbuch Gotteslob stammt der Text für den Messgesang „Du rufst uns, Herr, an deinem Tisch“ aus seiner Feder. Im evangelischen Kirchenliederbuch „Wo wir dich loben…“ ist das vertonte Gebet „Du bist mitten unter uns, und wir feiern deine Gaben“ zu finden.
Aber Jourdan schrieb auch Kinderlieder, z.B. für eine vom ZDF herausgegebene Mainzelmännchen Platte oder Texte für den deutschen Sänger Hans Rolf Rippert, der unter dem Künstlernamen Ivan Rebroff in den 60igern und 70igern Jahren als der bekannteste deutsche Fernseh-Russe auftrat.
Der Komponist Siegfried Fietz, der u.a. den1944 in Gestapo-Haft entstandenen Text Dietrich Bonhoeffers „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ vertont hat, veröffentlichte mit Johannes Jourdan mehrere Oratorien, 1973 beispielsweise ein Paulus-Oratorium. In ihren Oratorien präsentieren sie eine Mischung aus populärer und ernster Musik. Sie erreichen noch heute ein Publikum. Siegfried Fietz beschreibt Johannes Jourdan „als eine starke Persönlichkeit“, dessen „Sprachbilder bekannte Inhalte neu zum Klingen bringen konnten.“
Der Musikbegeisterte Johannes Jourdan betätigte sich auch als Komponist. Selbst im hohen Alter schrieb er noch 14 Violinsonaten, die zum Teil bei allen bekannten Musikstreamingdiensten gehört werden können.
Ein streitbarer Lyriker
Eine erste Sammlung seiner Gedichte erschien 1970 unter dem Titel “Sein Schrei ist Stumm“ in der Reihe „Hamburger Lyriktexte“. Wenig zimperlich streitet Jourdan in diesen Texten in Versform für den Frieden auf den Kriegsschauplätzen der Vergangenheit, seiner Gegenwart in Vietnam oder Nahost, aber auch im Alltag seiner Zeitgenossen – sei es im Straßenverkehr oder im Weihnachtsgeschäft.
Einen weiteren Gedichtband Jourdans veröffentlichte die Gesellschaft Hessischer Literaturfreunde bereits 1972 unter dem Titel „Vertikale Horizonte“. Das Bändchen wurde vom Arheilger Graphiker und Zeichner Helmut Lortz illustriert. Der ebenfalls in Arheilgen gebürtige Literaturwissenschaftler Willi Erzgräber schrieb im Nachwort: „Die besten Gedichte Johannes Jourdans sind provokatorisches Ärgernis im biblischen Sinn.“ Jourdan wollte seine Zeitgenossen immer wieder wachrütteln, sich nicht mit Geld und Gut zu begnügen. Er glaubte, wie er selbst bekannte, an die Macht des Wortes. Bundesweit trat er in zahlreichen Lesungen auf. In Arheilgen war er oft Gast im „Schuppen“ einem kleinen Veranstaltungsraum und Künstlertreff, den der spätere Oberbürgermeister Darmstadts, Peter Benz, in der Arheilger Woogstraße eingerichtet hatte.
Eine Hommage an Arheilgen
Zum 1150-Ortsjubiläum Arheilgens schuf Jourdan 1986 mit dem an der Akademie für Tonkunst lehrenden Hans Jürg Peppler die Arheilger Kantate. Als Nachlese zu den Jubiläumsfeierlichkeiten erschien dann 1987 sein Gedichtband „Arheilgen – von der Seele einer Ortschaft.“ Im Anhang des Buches findet sich auch der Text der Kantate. „Es ist eine Hommage an Arheilgen, die uns stolz macht,“ schrieb Peter Benz im Vorwort.
Helmut Lortz illustrierte den Band mit 27 Zeichnungen. So wurde mit Wort und Strich „Vergessenes, Unbeachtetes liebevoll ins Gedächtnis zurückgerufen“, lobte der Lehrer und Arheilger Mundart-Dichter Herrmann Benz bei der Vorstellung des Büchleins im Rahmen einer Kerb-Veranstaltung in den Räumen der Arheilger Volksbank. In den Gedichten schaut, fühlt oder tastet sich Jourdan in die Menschen und in die Gebäude, in die Gassen und über die Felder Arheilgens. Er beschreibt den Ort so wie er ihn über Jahrzehnte in seinen zahlreichen Gängen und Fahrten mit dem Fahrrad kennen- und lieben gelernt hatte – er fuhr selbst nie PKW, obwohl er noch im Alter von 50 Jahren den Führerschein gemacht hatte.
Über das bürgerschaftliche Engagement und das weitere literarische Schaffen Jourdans könnten noch Seiten gefüllte werden. So moderierte er Diskussionen über die Arheilger B3-Umgehung, schuf am Kranichsteiner Bahnhof ein Wohnheim, das zurückkehrenden deutschstämmigen Familien aus Russland eine Heimstatt bot, organisierte Chor-Konzerte in der Heilig-Geist-Kirche und den evangelischen Gemeinden, stieg bei Fastnachtsveranstaltungen selbst in die Bütt und übersetzte mal so eben eine Biografie von Jonny Cash oder schrieb Bücher über die Hirnforschung.
Für sein literarisches Werk zeichnete Oberbürgermeister Peter Benz Johannes Jourdan 1994 mit der städtischen Johann-Heinrich-Merck-Ehrung aus. „Doch in der Breite der Gemeinde Arheilgens hat Vieles, was er schuf, selten die Anerkennung gefunden, die er verdient hat“, erinnert sich Karlheinz Wesp, der Johannes Jourdan seit der Gründungszeit des CVJM verbunden war.



Illustration: Gedicht „Danke Arheilgen“
Danke Arheilgen
Ich gehe und bleibe
Und war doch nie da
im Wagenradnabel,
im „großen „A“.
Ich gehe und bleibe,
bin zugereist,
was der Akzent
auf dem „heil“ beweist.
Ich gehe und bleibe,
ich gehe „gen“.
Ich bin unterwegs
ohne aber und wenn.
Ich bin zuhause
ob ich bleib oder geh,
weil ich von ringsum
den Kirchturm seh.
Ich bin zuhause,
im Alter noch Kind.
Ich teile mit euch
die Wolken, den Wind
und teile die Freude
und weine mich aus
und bin in den Herzen
als Fremder zuhaus.
Johannes Jourdan

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